Wer hat sich nicht schon einmal von einem Pullover bedroht gefühlt, der nach fünf Wintern noch immer nicht auf der Müllhalde gelandet war? Der schier unüberwindliche Trennungsschmerz schrie somit förmlich nach Regulierung.
Die Europäische Union, das Bollwerk der Freiheit, der Demokratie – und nun auch der Textilpolizei – hat beschlossen, in den Krieg gegen Altkleider zu ziehen. Eine neue Verordnung sieht vor, dass ausrangierte Klamotten künftig nicht mehr so leicht in den Container neben dem Supermarkt wandern dürfen. Endlich.
Die Verordnung, die sich den „Kreislaufwirtschafts“-Idealen verschrieben hat, könnte glatt als Satire durchgehen, wäre sie nicht so bitterernst gemeint. Künftig soll jede alte Socke ihren Lebenslauf nachweisen können: Wo wurde sie getragen? Wie oft gewaschen? Und warum hat der Besitzer sie ausgemustert? Die EU-Bürokratie ist nicht weniger detailverliebt als ein Historiker, der die Abstammungslinie einer mittelalterlichen Adelsfamilie rekonstruiert. Das ist genau mein Fall, weil ich mich doch so intensiv mit unserem Stammbaum beschäftige.
Doch es geht hier nicht um Stoffgeschichte, sondern um Umweltschutz, heißt es. Altkleider, so das Brüsseler Diktum, verschmutzen die Welt, wenn EU-Länder sie in Länder exportieren, die sie dringend brauchen könnten. Dort – Achtung, man halte sich fest – könnten Menschen diese Kleidungsstücke tatsächlich noch tragen. Welch barbarischer Gedanke. Lieber lässt die EU die Klamotten schreddern, denn nur so bleibt der europäische Klimafußabdruck moralisch rein.
Altkleider-Sünder und die kommende Mode-Inquisition
Die wahren Opfer dieser Mode-Inquisition sind natürlich wir alle. Die Brüsseler Bürokraten scheinen fest entschlossen, uns zur Verantwortung zu ziehen, wenn wir uns von einem T-Shirt aus Polyester trennen, das nach drei Festivalbesuchen aussieht, als hätte es den Dritten Weltkrieg überlebt. Mit „Pauschalgebühren“ für Textilentsorgung und strengen Kontrollen, wer was wann und wohin entsorgt, wird die Altkleider-Sünde bald teurer werden als der Kauf neuer Klamotten.
Man stelle sich vor: Der Nachbar, der heimlich seine alten Unterhemden schnöde wegwirft, wird eines Tages von der TÜB (Textilüberwachungsbehörde) zur Rechenschaft gezogen. Altkleider-Gates werden die Schlagzeilen dominieren: „Rentner (67) verhaftet – Wollsocken illegal entsorgt“
Die neue Ästhetik des Zerfalls
Und so führt die EU uns unbeirrt in die strahlende Zukunft der Kreislaufwirtschaft, in der nichts verloren gehen darf – außer der letzte Rest an gesundem Menschenverstand. Bald tragen wir alle abgerockte Hosen mit Stolz, denn das Recycling-Label auf der Rückseite macht uns zu Helden des Planeten. Designer könnten die neue Ästhetik aufgreifen: „Gucci präsentiert: Die MMK (die Müll-Mode-Kollektion von 2025).“
Jeder Fetzen Stoff erzählt eine Geschichte, jede Naht eine Tragödie.
Natürlich wird uns gesagt, dass all dies im Dienste einer besseren Welt geschieht. Während wir uns aber durch den Altkleider-Dschungel kämpfen, bleibt eine Frage offen: Wer schützt uns vor der EU, wenn sie beschließt, dass selbst das Wohlergehen alter Socken zu regulieren ist?
Am Ende bleibt nur eines klar: Während Brüssel die Hemden von gestern reguliert, bleibt die Zukunft so zerschlissen wie eine Flohmarkt-Nietenhose – nur weniger charmant.
So weit, so Satire. Werden wir ein wenig ernsthafter.
Ich war vor vielen Jahren beim TSV in die Überlegungen involviert, ob sich das Aufstellen von Altkleidercontainern lohnt und hatte mich damals mit der Thematik beschäftigt. Für Altkleider galt die Grundregel, dass der Entsorger nur dann Geld verdienen kann, wenn die Klamotten noch tragbar, also wiederverkaufbar, sind. Der Preis pro Tonne war damals super. Wir stellten erst eine, dann zwei, dann vier und letztlich fünf Container auf. Wir hatten genau ins Schwarze getroffen. Leistungsloses Einkommen.
Die EU macht den Firmen jetzt das Leben schwer. Auch nicht tragbare Kleidung soll jetzt nicht mehr im Restmüll verschwinden dürfen. Seit dem 1. Januar gilt in der EU eine Getrenntsammlungspflicht für Textilabfälle. Das Geldverdienen sozialer Einrichtungen wird jetzt erschwert, weil die Sortierung der Altkleider noch aufwändiger wird.
Aus Sicht von kleiderstiftung.de gibt es drei Typen von Altkleidung, die vierte Option kommt von mir:
- Restmülltonne: Stark zerschlissene, verdreckte oder anderweitig kontaminierte Textilien
- Altkleidercontainer: Nicht für eine würdige humanitäre Hilfe geeignete Bekleidung
- Soziale Einrichtungen: Für eine würdige humanitäre Hilfe geeignete Bekleidung
- Second-Hand-Läden: Kleidung, für die man noch Geld haben möchte
Jetzt kommt die interessante Info. Denn nach Ansicht der genannten kleiderstifungs-Plattform ändert sich für uns Deutschen rein gar nichts. Deutschland sei schon sehr gut aufgestellt. Ach ja? Es gibt aber auch ganz andere Aussagen. familie.de berichtet, dass auch alte Stoffe nicht mehr in den Hausmüll dürfen. Und schon ist die Verwirrung perfekt. An dem familie-de-Beitrag gefällt mir die Struktur. Erst kommen die Infos (auch wenn die Infos nicht ganz richtig zu sein scheinen), dann kommt der Kommentar dazu. So muss das sein. br.de bringt die Situation auf den Punkt. Unser Land würde sich vorerst der EU-Vorgabe widersetzen. So etwas trauen wir uns? Unglaublich.
Forderungen der Branche
Was sagt Deutschlands private Altkleiderwirtschaft zur neuen Situation? Branchenvertreter plädieren für eine erweiterte Herstellerverantwortung, bei der Textilproduzenten für die Sammlung, Sortierung und Wiederverwertung ihrer Produkte verantwortlich gemacht werden. Dies könnte durch finanzielle Beiträge oder die Entwicklung recyclingfreundlicherer Produkte geschehen.
Forderungen an die Verbraucher
Es wird eine stärkere Sensibilisierung der Verbraucher für die richtige Entsorgung von Textilien und die Qualität der gespendeten Kleidung angestrebt. Blablabla. Welt.de bringt es auf den Punkt: Beim Sommerkleid für 2,70 Euro und Ohrringen für 30 Cent könnten die Europäer nicht widerstehen. China überschwemmt uns mit Billigschrott. Das muss aufhören. Nur wie? Mit guten Worten sind die Deutschen von einer Änderung ihrer Einkaufsgewohnheiten nicht zu überzeugen. Da helfen nur: Einfuhrzölle, Umweltsteuer auf Billigkleidung. Aber was nutzt das bei einem Kleid von 2,70 Euro? Dann kostet es 6,50 Euro, ohne dass irgendein Problem gelöst wird.
Der Dank für dieses geniale Gesetz geht an die EU. Gut gedacht. Schlecht gemacht. Praktisch nutzlos.
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