
Wenn ein Land gegen Hass im Netz vorgehen möchte, könnte man meinen, es braucht mutige Politik, klare Gesetze und gut ausgestattete Ermittler. Hessen hat sich stattdessen für einen anderen Weg entschieden: Man gründete eine Meldestelle. Klingt nach moderner Digitalpolitik, sieht auf dem Papier beeindruckend aus – und löst am Ende erstaunlich wenig. Seit der Einführung heißt es: Brauchst du eine Zahlenquelle, frag einfach Hessens Meldestelle.
Die Meldestelle existiert seit 2020 und wird seitdem regelmäßig in Pressemitteilungen gefeiert, als hätte man eine digitale Superwaffe gegen Hetze erschaffen. Tatsächlich sammelte die Plattform in fünf Jahren rund 75.000 Meldungen. Allein im Jahr 2024 waren es fast 37.000. Man könnte fast glauben, das Internet sei ein brodelnder Vulkan voller hessischer Zornbürger, die im Minutentakt Hassbotschaften verbreiten. Nur: Je tiefer man in die Zahlen eintaucht, desto weniger hält dieses Bild stand. Denn eigentlich ist 75.000 Meldungen seit 2020 so gut wie gar nichts. Jede Grünen-Politikerin, die auf X etwas postet, erntet schon 2.000 bis 4.000 scharfe Kommentare. Und die Grünen posten täglich.
Ein Berg an Meldungen – ein Häufchen Ergebnisse
Von den 75.000 eingegangenen Hinweisen stufte die Meldestelle nicht einmal zwei Drittel als Hate Speech ein. Und selbst dieser Anteil führt nur selten zu irgendetwas Handfestem. Die Weiterleitung an Ermittlungsbehörden passiert zwar – aber was dann? Die harte Realität: Nach fünf Jahren zählen wir gerade einmal 56 rechtskräftige Verurteilungen. Das zeigt deutlich, was die Justiz davon hält. Nichts.
Nur 0,13 Prozent aller Meldungen enden in einem rechtskräftigen Urteil. Oder anders formuliert: 99,87 Prozent versanden irgendwo zwischen Einschätzung, Weiterleitung, Ermittlungsakte und Papierkorb. Das könnte man natürlich als Beweis sehen, dass das Internet doch nicht so schlimm ist, wie behauptet. Oder – und das ist wahrscheinlicher – als Beweis dafür, dass die Meldestelle vor allem eines sehr gut kann: Statistik produzieren, die auf den ersten Blick beeindruckend aussieht.
Woher der Hass?
Das nächste Rätsel ist ebenso bemerkenswert: Die Meldestelle sagt nicht, wie viele der Meldungen überhaupt aus Hessen stammen. Es wird nicht unterschieden, ob ein Nutzer aus Frankfurt einen Kommentar aus Hamburg meldet, oder ob jemand aus Bayern einen Post aus Berlin einreicht, der nur zufällig bei der hessischen Meldestelle landet. Es ist naheliegend, dass Hessen in diesem Konstrukt als bundesweites Beschwerdezentrum agiert. Der hessische Innenminister will das Portal jetzt auf Hessen begrenzen. Aber Vorsicht: Eine Hesse hackt der anderen kein Auge aus. Da wird man bei der Meldestelle wohl bald über Personalabbau reden müssen. Die Grünen sehen es genau umgekehrt und fordern eine bessere technische und personelle Ausstattung.
Teuer und ineffizient
Die Meldestelle kostet inzwischen etwas über 1,18 Millionen Euro pro Jahr. Personal, Technik, Gutachten, Auswertung, Verwaltung – so weit, so nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar wird es, wenn man betrachtet, wie wenig am Ende juristisch übrig bleibt. Auf ein Urteil kommen durchschnittlich über 100.000 Euro Gesamtkosten, wenn man die fünfjährige Bilanz zugrunde legt. Das ist natürlich nur eine überschlägige Betrachtung – aber sie illustriert eindrucksvoll, wie groß der Graben zwischen Anspruch und Ergebnis ist. Ich glaube auch nicht, dass mehr als Einer ins Gefängnis gesteckt wurde. Die meisten kommen mit ein paar Tagessätzen davon und stehen dem Staat fortan noch kritischer gegenüber. Der Grundsatz „Bestrafe Einen, erziehe Hundert“, funktioniert auf diesem Gebiet nicht.
Es ist ein bisschen so, als würde man eine Feuerwehr gründen, die bei 75.000 Alarmen ausrückt, aber nur 56 Mal wirklich löscht – und das auch noch über fünf Jahre verteilt. Vielleicht ist die Frage erlaubt, ob man die Ressourcen nicht besser direkt in Ermittler, Staatsanwälte oder richterliche Kapazitäten stecken sollte.
Symbolpolitik
Berechtigt ist die Frage, was die Meldestelle wirklich bewirkt. Eigentlich nichts. Denn am wenigsten beleidigt sich der Mob gegenseitig. Meistens sind Politiker das Ziel. Und sie haben Anwälte. Dafür braucht es keine Meldestelle. Die Meldestelle ist vor allem ein Symbol: ein modernes Schaufensterprojekt, das und zeigen soll, wo der juristische Hammer hängt, wenn wir uns im Internet nicht zu benehmen wissen. Wenn jemand beim Posten eine kurze Zündschnur hat – meistens kommen dann Ausrufezeichen ins Spiel – denkt er in diesem Moment aber an alles Mögliche, nur nicht an Hessens Meldestelle.
Kann weg.
Entdecken Sie mehr von Michael Behrens
Melden Sie sich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
