
„Beispielloses Debakel“: Krankenkassen-Chefs entsetzt von Bundesrat-Stopp – FOCUS online
Der Chef der TK (Techniker Krankenkasse) sprach im Fokus von einem beispiellosen Debakel. Er sei entsetzt. So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein. Weil das Sparpaket von Gesundheitsministerin Nina Warken insbesondere die Krankenhäuser betrifft bzw. betreffen würde, bzw. betroffen hätte, werden die Krankenhäuser wegen der vom Bundesrat gewährten Atempause durchatmen.
Was sind die Eckpunkte des Sparpaketes? Gehen wir einmal die nichtsnutzigen Punkte durch, mit denen versucht wird, zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Im kommenden Jahr möchte man zwei Milliarden Euro einsparen. Ich sage:
Weder lassen sich die Kosten begrenzen noch die Beiträge stabil halten.
Tatsächlich spricht Warken von einem Defizit von vier Milliarden Euro, was schon zwei Milliarden Euro weniger seien als befürchtet. Ursache seien „erfreuliche wirtschaftliche Entwicklungen“. Was könnte denn im Krankenkassenbereich eine erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung sein? Wurden mehr Hüften ausgetauscht? Hat man mehr künstliche Knie implantiert? Sind die Menschen gesünder geworden? Liefern China und Indien noch billigere Medikamente?
Oder könnte hier tatsächlich gemeint sein, dass mehr Beitragszahler in das tote System eingezahlt haben? Das wäre doppelt bitter. Denn die Beitragszahler von heute sind die Krebspatienten von morgen. Für alle sozialen Systeme kommt das dicke Ende also noch. Was erfreulich erscheint, ist in Wahrheit Anschubenergie für eine sich noch schneller drehende Abwärtsspirale. Jedes Schnellballsystem bricht irgendwann zusammen.
Eckpunkte des Sparpaketes
„Im stationären Bereich der Krankenhäuser sollen bis zu 1,8 Milliarden Euro eingespart werden.“
Wenn ich von Fällen höre, bei denen Patienten nach einer Notfallbehandlung noch in der Nacht um 0200 wieder nach Hause geschickt werden, anstatt sie wenigstens eine Nacht lang zu beobachten, dann ist völlig klar, dass die Krankenhäuser mit ihrem Einsparpotenzial am Ende sind.
„Die Vergütungsanstiege der Krankenhäuser sollen künftig nicht stärker steigen als die reale Kostenentwicklung – damit wird das Wachstum der Ausgaben begrenzt.“
Kosten begrenzen per Gesetz? Willkommen im Sozialismus. Kosten fallen an. Sie lassen sich nicht begrenzen. Und wenn doch, dann höchstens auf Kosten der Qualität oder auf Kosten des Personals bzw. der Zulieferer, die diese Kosten wiederum auf ihr Personal abwälzen oder auf bei Materialien aus Billigländern wie Bangladesch zurückgreifen. Bis man dann erschüttert feststellt, dass dort 2012 einfach mal ein ganzes Fabrikgebäude in Ashulia, Nähe Dhaka mit dem Effekt von 117 toten Arbeitern bis auf die Grundmauern niederbrennt.
Kann man diesen großen Bogen spannen? Ich glaube schon. Kostendruck in Deutschland erzeugt niederträchtige Arbeitsbedingungen vor allem in Zulieferbetrieben in Asien. Darauf basiert unser Wohlstand. Nicht gewusst?
Und wenn die Vergütungsanstiege sich streng an die reale Kostenentwicklung koppeln – wo, bitteschön – wären dann die Gewinne, mit denen die Krankenhäuser in ihre Zukunft investieren? Richtig. Es gibt keine. Die Investitionen müssen von den Trägern gestemmt werden, sprich: von den Landkreisen. Die wiederum holen sich das Geld von den Gemeinden über die Kreisumlage. Somit sind wir dann als Steuer- und Gebührenzahler gefragt. Und dies, wo ich nichts, aber auch gar nichts mit diesem toten System zu tun haben will.
Kreisumlage: Wie gewonnen, so zerronnen.
Für die Stadt Neumarkt-Sankt Veit bedeutet das folgendes: Man bekam vom Freistaat Schlüsselzuweisungen in Höhe von drei Millionen Euro. Nach dem Prinzip „Wie gewonnen, so zerronnen“ legte man noch 1,4 Millionen obendrauf und führte somit 4,4 Millionen Euro als Kreisumlage ab. Die Idee aller Beteiligten ist es offensichtlich, Geld nur immerzu in Bewegung zu halten. Dann wird das System schon irgendwie funktionieren.
Da nutzte es wenig, dass Neumarkt-Sankt Veit hinter Waldkraiburg (8,7 Mio Euro) bei den Empfängerkommunen im Landkreis den traurigen zweiten Platz einnimmt. Wie der Neumarkter Stadtrat trotz der finanziellen Nöte der Stadt mit breiter Brust eine Stadtplatzsanierung für 10 Mio Euro durchdrücken konnte, bleibt ein ewiges Rätsel. Aufsichtsbehörden scheint es bei solchen Projekten nicht zu geben.
„Verwaltungskosten der Krankenkassen: Einsparziel ca. 100 Mio. Euro durch Begrenzung des Wachstums etwa bei Sachkosten.„
Sachkosten sind zum Beispiel auch Reinigungskosten. Da möchte man sparen? Wie denn, bitte? Möchte man die Reinigungsfirmen finanziell noch mehr knebeln, während gleichzeitig der Mindestlohn steigt? Ein Schelm, der jetzt nicht wüsste, was das in der Praxis für Auswirkungen hat. Die Reinigungskräfte arbeiten 10 Stunden und bekommen sechs davon bezahlt. Willkommen im Arbeitsmigrationsland Deutschland.
„Reduktion beim Innovationsfonds: Einsparung von ca. 100 Mio. Euro durch geringere Einzahlungen in den Fonds.“ Hausärztliche Praxis+1
Die Krankenkassen sollen ab 2026 nur noch 100 statt 200 Millionen in den Innovationsfonds einzahlen müssen. Von diesem Instrument habe ich noch nie gehört. Hier müssen wir uns einen Ausflug in die deutsche Bürokratie gönnen. Ich sage es im Voraus. Der Amtsschimmel wiehert.
Innovationsfonds als stumpfes Schwert für Versorgungsverbesserungen
„Der Fonds wurde mit dem GKV‑Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 eingerichtet und ist seit 2016 aktiv. Ziel ist die Weiterentwicklung und Verbesserung der Versorgung gesetzlich Versicherter (GKV), insbesondere durch neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen (z. B. sektorenübergreifende Modelle) bzw. durch Versorgungsforschung, also Studien und Begleitforschung zu solchen Versorgungsmodellen bzw. deren Wirksamkeit. Die Finanzierung und Steuerung erfolgt durch ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) eingerichteten Ausschuss (“Innovationsausschuss”), der über Förderbekanntmachungen und Mittelvergabe entscheidet. Die Mittel stammen von den gesetzlichen Krankenkassen sowie dem Gesundheitsfonds (zur Hälfte jeweils) bzw. deren Liquiditätsreserve.
Senkung von 300 auf 100 Millionen Euro
Das Fördervolumen betrug 2016 bis 2019 ca. 300 Mio. Euro jährlich. Seit 2020 sind es regulär 200 Mio. Euro pro Jahr. Die Förderung erfolgt typischerweise über offene Ausschreibungen („Förderbekanntmachungen“) mit Antragsverfahren. Antragstellende sind typischerweise Forschungsinstitute, Hochschulen, Kliniken, Ärzteverbünde, Krankenkassen, manchmal auch öffentliche Einrichtungen oder Verbände – als Konsortium. Es gibt zwei Hauptförderbereiche, nämlich: Neue Versorgungsformen (z. B. sektorübergreifende Versorgung, Telemedizin, Modelle ambulant/stationär) bzw. die Versorgungsforschung (Evaluation, Leitlinienentwicklung, patientennahe Forschung). Förderfähig sind Projekte, bei denen eine Krankenkasse in einem Konsortium beteiligt ist, wenn es um neue Versorgungsformen geht. Das Projekt muss wissenschaftlich begleitet und auswertbar sein, mit dem Ziel Übertragbarkeit in die Regelversorgung.
„Digitale-Versorgungs-Gesetz“ und andere Lustigkeiten
Mit dem Digitale‑Versorgung‑Gesetz bzw. dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) wurde der Innovationsfonds dauerhaft eingerichtet (nicht mehr befristet) und das Verfahren weiter angepasst. Es gibt eine Datenbank bzw. Liste der „geförderten Projekte“, die öffentlich einsehbar ist. Wichtig: Nicht jedes geförderte Projekt wird automatisch in die Regelversorgung übernommen — es gibt eine Empfehlung durch den Innovationsausschuss, ob eine Überführung sinnvoll ist.„
Mit diesem Geld werden allerhöchstens Institute am Leben erhalten, bzw. wandert das Geld im Kreis herum. Einerseits müssen die Krankenkassen Beiträge für den Fonds bezahlen, andererseits dürfen Sie als Mitglieder von Konsortien Förderanträge stellen. Das ist noch dümmer als die Logik, als Eltern Steuern zu bezahlen, die man dann als Kindergeld mit dem einzigen Effekt wiederbekommt, dass sich zwischen Steuereinnahmen und Kindergeldausgaben sandwich-mäßig eine Behörde am Busen der Steuergelder nährt.
Kurzfristige Stabilisierung der Defizitlage?
„Das Paket ist als einjähriger Ausnahme-Notfallrahmen gedacht, um kurzfristig die Beitrags- und Defizitlage zu stabilisieren.“
Ich kann voraussagen, dass sich hier überhaupt nichts stabilisieren wird. Wir müssen zur Betrachtung nur die Jahresfehlbeträge des InnKlinikums Altötting/Mühldorf heranziehen:
- 2022, Jahresfehlbetrag: ca. 20,3 Mio. €
- 2023, Jahresfehlbetrag: ca. 33,4 Mio. €.
- 2024, Jahresfehlbetrag: ca. 28,6 Mio. €
Ich behaupte, dass niemand diese Verlustzahlen beim Sparpaket überhaupt berücksichtigt. Im Gegenteil: Das Sparpaket würde die Verschuldungssituation wieder verschärfen. Denn wenn die Krankenkassen bei ihren Ausgaben für Krankenhäuser, 1,8 Milliarden Euro einsparen sollen, dann trifft das auch unser InnKlinikum.
Parallel dazu wird eine Kommission eingerichtet, um Reformvorschläge für mittelfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen zu erarbeiten.“
Wir kommissionieren uns buchstäblich zu Tode. Offensichtlich hat der Innovationsfonds nichts bis gar nichts gebracht. Kann weg, so wie das ganze System. Und jetzt hat der Bundesrat das Paket mit der Auswirkung gestoppt, dass der Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss muss. Und was können wir dort erwarten? Höchstens einen faulen Kompromiss. Was sagt das Fachblatt für Gesundheitsvorsorge dazu?
„Jetzt droht den gesetzlich Versicherten, für die Summe von zwei Milliarden aufkommen zu müssen.“
Was Bild als Drohung in den Raum stellt, ist ein ganz normaler Vorgang. Man nennt es: Verursacherprinzip. Gesetzlich Krankenversicherte verursachen die Kosten, somit müssen sie auch dafür bezahlen. Ist das so abwegig? Und was sind die Ursachen? Zum Beispiel Alkohol und Nikotin. Zur Abhilfe schwirrt mir eine Idee für den nächsten Blog im Kopf herum.
Entdecken Sie mehr von Michael Behrens
Melden Sie sich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
