
Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich in meinem Leben jemals etwas Schönes oder auch nur etwas Neutrales geträumt hätte. Ich bin also einiges gewohnt und kann damit umgehen. Denn im Schlaf führe ich ein zweites Leben. Und das ist alles andere als einfach.
Die typischen Highlights sind, dass ich im Flieger sitze und der Start nicht richtig funktioniert. Das Flugzeug fliegt durch viel zu enge Straßenschluchten und gewinnt keine Höhe. Die obere Hälfte des Rumpfes hat sich bereits aufgelöst. Die Spitzen der Tragflächen kommen den Häusern links und rechts gefährlich nahe. Das Flugzeug sinkt und steigt und sinkt und steigt. In dem Moment, wo der finale Absturz nah ist, wache ich für gewöhnlich auf. Dann heißt es: Aufatmen, kurz schütteln und beruhigt weiterschlafen.
Ein weiterer typischer Traum findet in großen, mir unbekannten und unübersichtlichen Gebäuden statt. Ich suche etwas Bestimmtes. Ein Büro, eine Wohnung, eine Toilette und finde sie nicht. Ich drehe mich im Kreis, kenne mich nicht mehr aus, laufe durch die Gänge, werde immer hektischer, immer verwirrter, weiß nicht mehr weiter und… wache dann auf.
Ich finde mich plötzlich in meiner Berufsschule wieder. Völlig unvorbereitet. Nichts dabei. Kein Plan. Ich weiß nicht einmal, welches Fach ansteht. Überall fragende Gesichter, die mich anschauen. Ich verstehe nicht, warum ich in dieser Situation bin. Niemand leiht mir ein Buch oder sagt mir, was ich zu tun habe. Ich fühle mich als Fremdkörper, als völlig blamierter Versager. Völlig verwirrt frage ich mich, was ich machen soll. Ich schäme mich und… wache auf.
Hat jemand in einem Traum schon mal jemanden umgebracht? Ich gehöre dazu. Ich habe jemanden verfolgt, ich meine, einen Verbrecher. An einem Brunnen habe ich ihn eingeholt, ihn am Balken über dem Brunnen festgebunden und im Wasser versenkt. Ich fand das nicht dramatisch. Die Sache spielte sich im Mittelalter ab, wo Mord und Totschlag an der Tagesordnung waren. Ich war über diesen Albtraum schnell wieder hinweg.
Aber in der vorletzten Nacht habe ich ein wirklich abscheuliches Verbrechen begangen. Kaltblütiger Mord. Durch Ersticken. Ich erinnere mich an jede Einzelheit. Mitten im Tötungsvorgang habe ich noch darüber nachgedacht, ob ich das jetzt wirklich tun soll. Aber ich konnte mich nicht umentscheiden. Und dann lag sie vor mir – die Leiche. Im gleichen Moment bildete ich mir im Traum ein, dass ich das alles eh nur träume – weil ich ja immer so einen Quatsch träume und im normalen Leben eigentlich keinen Menschen abmurkse – und ich gewiss gleich aufwachen werde.
Aber der Traum wollte nicht aufhören. Am nächsten Tag wollte ich mir die Leiche noch einmal anschauen, aber: Sie war verschwunden. Daraufhin war ich verwirrt und bildete mir ein, dass ich den Mord vielleicht doch nicht begangen habe und diesen ersten Teil vielleicht nur geträumt habe. Ein Albtraum im Albtraum. Das war selbst für mein albtraumgestähltes Unterbewusstsein zu viel. Ich wachte auf.
Und jetzt reicht es mir – mit dem limbischen System als dem Teil des Gehirns, der für Albträume verantwortlich zeichnet. Ich gründe einen Verein für Albtraumgeplagte.
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