Mittwoch, 05. Januar 2022, Politik: Fachkräftemangel

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Der DIHK-Präsident Peter Adrian warnte vorgestern im ovb vor einem sich verschärfenden Fachkräftemangel, während Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger diese Aussage sofort mit der Forderung nach qualifizierter Zuwanderung verknüpfte. Wie könnte man das umsetzen? Aus seiner Sicht sollen Interessierte in ihrem Heimatland einfach zur deutschen Botschaft gehen können und (platt ausgedrückt) sagen dürfen: Hier bin ich, ich bin qualifiziert, ich will nach Deutschland, was muss ich tun? Die korrekte Antwort wäre: Ohren spitzen. Denn da wiehert der deutsche Amtsschimmel in den zentralen Amtsstuben unseres Landes so laut, dass er bis in alle Botschaften dieser Welt zu hören ist.

Denn mit dieser Logik wird grade einmal ein Schritt von fünfzig notwendigen Schritten beschrieben. Der erste Schritt wäre für mich die Beantwortung einiger Fragen.

In welchen Ländern auf dieser Welt gibt es einen Überhang von Fachkräften? Denn schließlich wollen wir doch (hoffentlich) nicht anderen Ländern Fachkräfte entziehen, die sie selbst dringend brauchen. Das wäre unsozial.

Sollten ausländische Fachkräfte Deutsch sprechen müssen? Ich würde sagen ja. Wir sprechen hier ja nicht von der Besetzung von Chefetagen, wo man eben mal locker ins Englische wechseln kann. Facharbeiter müssen in Teams arbeiten, mit Fachbegriffen umgehen und sich mit Kunden besprechen können, usw. Deutsch als Voraussetzung scheint mir angebracht zu sein. Was wäre somit die Empfehlung? Deutsch im Heimatland lernen oder bei uns?

Werden deren Ausbildungsberufe anerkannt? Ist ein deutscher Ausbildungsberuf mit dem gleichen Ausbildungsberuf in Vietnam vergleichbar? Denn man kann den vietnamesischen Elektriker nicht mal eben zum Probearbeiten nach Deutschland einfliegen lassen, um dann festzustellen, dass es mit den Fachkenntnissen doch nicht so weit her ist. Und wie beurteilen wir die Fachkenntnisse von Amerikanern, denen unser deutsches Ausbildungssystem komplett fremd ist? Ok, die Frage war rein rhetorisch. Als Fan der Vereinigten Staaten und im Wissen um deren Interpretation von Freiheit glaube ich, dass die Anzahl der Fachkräfte, die gern in Deutschland arbeiten würde, gegen Null geht.

Sprechen wir denn überhaupt über weltweite Zuwanderung oder denken wir an EU-internen Zuzug? Bei letzterem erinnere ich an die EU-Osterweiterung. Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Lettland und Litauen traten der EU 2004 bei und erwarben die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit am 01.05.2011. Bulgarien, Rumänien, Kroatien folgten am 01.07.2015. Man sollte annehmen, dass die osteuropäischen Arbeitskollegen seit 2015 pandemieartig den deutschen Arbeitsmarkt geflutet haben, um unseren Fachkräftemangel abzumildern. Nichts dergleichen scheint passiert zu sein.

Der ovb hätte somit den Verbandspräsidenten die Frage stellen können, was unsere deutschen Arbeitsplätze offensichtlich unattraktiv macht? Geringfügige Beschäftigungen vielleicht? Befristete Arbeitsverträge? Die von der Industrie so geschätzten Zeitarbeitsfirmen, um sich der eigenen Verantwortung zu entziehen?

Wie gehen wir bei arbeitsbedingter Zuwanderung mit dem sich verstärkenden Druck auf unseren Wohnungsmarkt um? Ok, den Einwand ziehe ich zurück. Ab sofort baut die Ampelregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen. Das Problem fehlender Wohnungen und zu hoher Mieten sollte sich somit bald erledigen.

Befristen wir die Aufenthaltsberechtigung? Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ingo Kramer denkt hier sofort an den Zuzug samt Familie, um allen eine „gute Zukunft“ zu ermöglichen. Also keine Befristung. Die Familie kommt mit. Das erscheint mir logisch. Aber: Die dafür notwendige Infrastruktur haben bzw. schaffen wir? Kita-Plätze, Schulen, Horte für Nachmittagsbetreuung usw.?

Der gestrige ovb-Beitrag geht mit keiner Silbe darauf ein, wie sich seit 2015 der Zuzug von Asylbewerbern auf die Ausbildungssituation ausgewirkt hat. Offensichtlich gar nicht. Dabei stellt die BA (Bundesagentur für Arbeit) in Ihrem Bericht „Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt“ schon in der Einleitung auf Seite 5 fest, dass die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes zunehmend von der Migration beeinflusst werde. Warum wird dieser Umstand im ovb-Bericht von keinem der zu Wort kommenden Verbandspräsidenten gewürdigt? Antwort: Weil die BA die Problematik gleich selbst erklärt und von „fehlenden Sprachkenntnissen und formalen Qualifikationen“ spricht. Dazu passen auch die Arbeitslosen- bzw. HartzIV-Zahlen aus dem Oktober 2020 (Quelle: Seite 17 des BA-Berichtes):

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Die unteren zwei Werte für die Gruppe der Menschen aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern sind natürlich eine bittere Pille und Wasser auf die Mühlen der Migrationsgegner. Insofern muss ich die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer Einschätzung etwas korrigieren. Nicht die Entwicklung des Arbeitsmarktes wird von der Migration bestimmt, sondern eher die Entwicklung des Arbeitslosenmarktes.


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